Johannes Brahms- beim Wort genommen

Eine Zitatensammlung

Renate und Kurt Hofmann (Hrsg.):

Johannes Brahms- beim Wort genommen. Eine Zitatensammlung

Noetzel-Verlag € 34,-

Gesammelte Aussprüche eines Komponisten? Dann kommt als nächstes wohl eine Auflistung der vertonten Eichendorff-Gedichte? Nun, zum einen kommt als nächstes wieder Rockmusik, zum anderen rechtfertigen die beiden Herausgeber ihre Sammlung hervorragend gleich mit dem Anfang des Vorworts, dem einzigen Zitat im Buch über Brahms: „Ich behaupte, dass Brahms…kein unnützes, überflüssiges Wort spricht, und dass er für das, wovon er spricht, auch wirklich Interesse hat.“

So der Sänger Georg Henschel im Jahre 1876. Das würde bedeuten, dass Brahms redete, wie er komponierte.

Eingelöst wird diese Einschätzung im vorliegenden Band nicht immer- dazu später-, glücklicherweise aber im fruchtbarsten und umfangreichsten Kapitel über Komponisten, Interpreten und andere Künstler. Eine kleine Überschau:

  1. Brahms und seine Klassiker

Wertschätzung unter Musikern war, wie anderweitig schon beschrieben, nichts Ungewöhnliches, aber die differenzierten Urteile hier über Bach, Haydn, Mozart und Beethoven sind schon, gerade auch bezogen auf Selbstbild und eigenes Schaffen, etwas Besonderes. Die als titanisch empfundene Aufgabe, nach der Neunten eine eigenständige Symphonie hervorzubringen (im Werkverzeichnis: opus 68!) bedingt keine restlose Verehrung, in der Würdigung der beiden e-moll Klavierkonzerte wird Mozart vorgezogen.

Und wer sein Handwerk beherrschte, kam nie in die Versuchung, Haydn als verzopften, harmlosen Papa zu titulieren.

  1. Brahms und seine Verehrten

Hier empfindet jemand aufs Innigste. Mit großer Liebe, im letzteren Falle nicht nur musikalischer, äußert sich der Komponist über das Trio Schu-bert, Schu-mann und Schu-frau. Die seine Zuneigung nicht erwidernde Clara inspiriert den spröden Norddeutschen zu poetischen Formulierungen: „…sie sah aus wie der F-dur ¾ Satz im Finale von Fidelio…“, die enttäuschte Liebe hindert nicht an großer Anteilnahme für den kranken Ehemann Robert nebst Trost und Werkpflege für den früh Verstorbenen. Und der geschätzte Franz Schubert macht, ein Lichtblick in der häufig nationalistisch-antisemitischen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nicht blind für die Meriten Felix Mendelssohn-Bartholdys.

  1. Brahms und seine Kontrahenten

Liszt, Bruckner und der junge Richard Strauss bekommen kein geneigtes Wort, aber die vier Seiten über Wagner, als dessen Gegenpapst Brahms vom tobenden Nietzsche bezeichnet wurde (was er, nicht nur seines Protestantismus wegen, von sich wies) haben es in sich. Genannt sei nur das empfohlene Bier während des zweiten Walküre-Aktes (um für den dritten wieder munter zu sein) und andererseits große Anerkennung für den Dramatiker und Rhetoriker.

Ohne Nummerierung ein seltsamer Gast in dieser Rubrik: Otto von Bismarck. Oder soll angedeutet werden, dass Brahms die Einigungskriege 1864, 66 und 70/71 als dreisätziges Konzert für den skrupellosen Strategen und Militärorchester verstand? Gejubelt hat er jedenfalls, wie im Politik-Kapitel nachzulesen, wenn auch weniger martialisch als die beiden Folgegenerationen mit ihrem: Dieses war das zweite Reich…

Jetzt ist der passende Moment, die angekündigten Einschränkungen über die Gelungenheit des Buches folgen zu lassen. Während die politischen Ansichten des Protagonisten zwar unerfreulich, wenn auch, leider, zeitgebunden allzu durchschnittlich, sind, scheint mir manches andere schlicht überflüssig: Die Abteilungen über Autographe und Widmungen sind für die meisten Leser wohl thematisch uninteressant (aber Steckenpferde des Herausgeberpaares), diejenigen über Briefeschreiben, Finanzen und Zeitungen ließen sich sinnvoller kurz zusammenfassen, dass der Komponist ungern schrieb, keine Geldnöte kannte und der Tagespresse skeptisch gegenüberstand. Auch die „Orte und Länder“-Rubrik ist zu ausführlich: Sie wollten doch nicht etwa in Erfahrung bringen, was Brahms über Detmold und Mürzzuschlag zu sagen hatte? (In realistischer Selbsteinschätzung wird der Verlust einer einstelligen Anzahl von Lesern billigend in Kauf genommen.)

Spannender wären die Eintragungen zu Italien, aber wir wissen ja, er war schreibfaul. Statt mehrfacher Registrierung von Orvieto-Besuchen wird verschwiegen, was der Kunstkenner und Renaissance-Liebhaber im dortigen Dom angesichts Luca Signorellis Meisterwerks empfand.

Wenig Redseligkeit ebenso zu eigenen Werken: Die inhaltlich wichtigsten Aussagen finden sich knapp in den hier schon rezensierten oder erwähnten Konzertführern.

Erfreulicher dagegen die zitierten Lebensanschauungen und Selbstbetrachtungen, neben etwas Biedermeierlichem stehen gelungene Aphorismen, die in philosophischen Anthologien eine Daseinsberechtigung hätten, z.B. „Ich war allezeit ein Mensch fürs Kloster- es gibt nur nicht die passende Sorte“, und „Ich war leider nie verheiratet und bin es Gott sei Dank noch immer nicht“.

Der Vorgehensweise des Gegenstands dieses Artikels gemäß nach vermittelnder Überleitung aus dem Moll-Mittelteil noch eine kurze Reprise: Das nicht umfangreiche, aber schöne Kapitel über „Dichter, Schriftsteller und ihre Werke“ zeigt einen eifrigen, eigenständigen und vielseitigen Leser, der zu Klassik, Romantik und seinen Zeitgenossen etwas zu sagen hat. Hiermit fällt auch Licht auf den Autographen-Abschnitt, denn der Erwerb eines Hölderlin-Briefes lange vor dessen eigentlicher Entdeckung als Dichter verrät einen reichlich modernen Brahms, ebenso die Wertschätzung Kleists.

In seinem eigenen Metier war er in der Rezeption noch weiter: Kurz vor seinem Tode 1896 erlebte er den Dirigenten Mahler und bezeichnete ihn als „Teufelskerl“, während er dessen zweite Symphonie zum Anlass nahm, vom „wahren Revolutionär“ anstelle Straussens zu sprechen.

Bei vielen klassischen Komponisten kann, unabhängig vom erreichten Lebensalter, von einem mit Höhepunkt vollendeten Lebenswerk gesprochen werden: Haydns Londoner Symphonien, Mozarts Jupiter-Symphonie, Beethovens Neunte, späte Streichquartette und Klaviersonaten, Wagners Parsifal; bei Brahms schließt sich der Kreis vielleicht unspektakulärer.

Aber erwägt man, dass er Mahlers Lebenswerk und Schönbergs von ihm selbst beeinflusste Anfänge bis zur atonalen Phase durchaus hätte erleben und kommentieren können, hinterlässt der zuweilen mühsam und schwerfällig ringende Brahms eine nicht zu füllende Lücke.

Rezension: Frank Rüb, November 2021