Lily Brett - Lola Bensky

Lily Brett - Lola Bensky                                             Suhrkamp Verlag, 9,99 €

 

- "Ich habe nichts gegen dauerwellen.früher habe ich mein haar glätten lassen..."

- " Ich habe mein Haar früher auch ...glätten lassen.Aber dann konnte ich den Geruch der Dauerwellenlösung nicht mehr ausstehen."

- "Ich mochte den Geruch auch nicht."

- "Wickeln Sie Ihre Haare in Reihen auf?"

- "Nein.Aber ich weiß genau,wo ich die Lockenwickler anbringen muß...

Wenn Sie wollen,können Sie heute Abend kommen,dann sehen Sie mich mich mit

Lockenwicklern."

 

Lässt die aufreibende Arbeit, Buchbesprechungen für ein Hifi Studio zu verfassen, Raum für Revizensionen beim Friseursalon? Durchaus nicht, wir sind beim Thema - einer der Gesprächspartner des zitierten Dialogs ist Jimi Hendrix.

Seine Interviewerin Lola Bensky, hinter der sich die Autorin Lily Brett selber verbirgt,erblickte das Licht der Welt 1946 in Deutschland in einem Lager für Displaced Persons (die Hardcore Version von Misplaced Childhood - Unwörter des Jahres gab es so kurz nach Kriegsende noch nicht), nachdem ihre Eltern das schwärzeste Loch auf Erden überlebt hatten.

Mitte der sechziger Jahre wird die für die australische Musikzeitschrift Rock-Out arbeitende Journalistin Lily/Lola nach London und in die Vereinigten Staaten beordert,um etablierte und aufsteigende Größen der Rockszene zu befragen.

Die Hauptfiguren des ersten Teils nebst Charakteristik aus Sicht der Protagonistin stellen sich folgendermaßen dar:
- Jimi Hendrix (sympathisch mit Hintergedanken)
- Mick Jagger (sympathisch ohne Hintergedanken)
- Jim Morrison (unsympathisch mit Hintergedanken)
- Pete Townshend (unsympathisch ohne Gedanken)

 

Die Abneigungen bleiben nicht verborgen:

Der Doors - Sänger verabschiedet sich mit einem aufrichtigen "Du magst mich Nicht,oder?" und John Entwistle erklärt, dass Townshend einfach nur ehrlich - unverhüllt zeige,wenn er mies drauf sei (den diplomatischen Schlager " Spring über deinen Schatten,Tommy" gab es glaube ich noch nicht, die Rock - Oper musste ja ebenfalls noch geschrieben werden, was beweist, dass der Leadgitarrist zu Gedankensammlungen später fähig war).

Sehr lebendig dagegen die Gesprächsatmosphäre mit den beiden Erstgenannten mit breitem Themenspektrum: 
Bühnenpräsenz,Übergewicht,Rassismus,Sex und Gewalt,Ausdruckswillen und ...Auschwitz.

Jagger ist einfühlsamer und informierter als der Durchschnittsdeutsche,auch wohl Durchschnittseuropäer seiner Zeit. Zu den jeweiligen Inhalten passend wird das große Interview  mit ihm umrahmt von Familienerinnerungen,Ängsten und Seltsamkeiten und Stadtspaziergängen,bei denen die schüchtern - unbedarfte,psychisch - labile Autorin/Titelheldin beobachtungen über selbstbewusste Kolleginnen,Stadtflair und abnehmende Rocklängen (nicht die der Songs,die nahmen eher zu) anstellt. Die permanent um ihre Figur besorgte Lola muss menschlich eine gute gemacht haben,nach dem nächsten Termin erhält sie einen Anruf, um den sie Millionen junger Frauen beneidet hätten:

"Hallo?" - "Hi,,hier ist Mick." - "Mick?" - "Mick Jagger" - "Oh,hallo."

Nun wäre die in der Folgeszene auftretende forsche und fesche Linda Eastman vor Neid erblasst, denn gegenstand des Telefonats ist die Einladung zur Rückkehr zwecks Kaffeekränzchen mit dem soeben eingetroffenen Paul Mc Cartney.
Ein kompositorisch punktgenau plazierter Einschub bündelt Persönliches und Zukünftiges: traumatisierte Eltern,eigene Panikattacken, Hochzeit,Scheidung, Wiederverheiratung und literarischer Erfolg als Krimi-Schriftstellerin.

Die beiden Ehemänner bleiben blass,das erfundene Detektiv - Duo Harry und Schlomo erscheint plastisch und quicklebendig, mit diesem Eindruck ist man wohl mit der Autorin auf der gleichen Wellenlänge.
Kann dieser Zustand beibehalten werden,steht ein Hochgenuss bevor:

Lola Bensky in Monterey.

Hendrix hat vor seinem weltberühmten Auftritt die Lockenwickler nicht vergessen,ein intimes Interview mit Janis Joplin könnte bei gezielter Zitatwiedergabe den Verdacht näh(r)en,ich schriebe zusätzlich auch noch für eine Änderungsschneiderei und Lola muss all ihre Kreativität aufbringen,um aus dem Wortfetzen-Gestammel des zugedröhnten Organisators aussagekräftige Sätze zu bilden.

Beim Schlendern durchs Publikum registriert sie etwas, das ihr kaum in die nicht-vorhandene Wiege gelegt wurde,Glück und Frieden; beim Blick auf die Bühne blüht sie auf bei Historischem,bewahrt Eigenständigkeit bei Monoton-Meditativem und wendet sich ab bei rein destruktivem Gebaren.

Kreative Lektüre lässt das Gefühl aufkommen,man sei mit dabei und zwar durch die vermittelte Vielfalt intensiver als die Anwesenden.

Nächste Station ist Los Angeles, Mama Cass sinniert über LSD - Einnahme während der Schwangerschaft,das Whisky A Go Go (Die Hardcore Version von Coffee to go) feuert seine Haus-Band, nachdem der Sänger unter LSD-Einfluss die sonst unterdrückte Mama-Schwängerungs Zeile herausbrüllte. Ausgerechnet der Chaos-and -Disorder-predigende selbst ernannte König der Eidechsen dient der selbstbewusster gewordenen Autorin als Kontinuitätsfaktor: "Jim Morrison sah genauso schlechtgelaunt aus wie in New York."

Die grossartige Schlussszene springt mit stark geschrumpftem Personal ins gegenwärtige Jahrhundert.Linda Eastman hat es knapp verpasst und auch nur Eine - zugegeben spektakuläte - hochzeit zustande gebracht; die anderen sind vorher,niemand weiss in welcher Stimmung, zur anderen Seite durchgebrochen, der Ödipus - Komplex ist trotz "The Cinema Show" immer noch bekannter als Teiresias' geschlechterwechsel,aber Lola lebt und trifft jemanden wieder.

An einer High Society-Veranstaltung teilnehmend,wird sie dem Stargast als Verfasserin des Bestsellers "Schlomo in Sotto" vorgestellt.Der seinerseits muss nicht vorgestellt werden,er ist ein ausdauernder Kontinuitätsfaktor und singt immer noch "Satisfaction".

Die Erinnerungen sind unterschiedlich stark,aber der gelassen-in-sich-ruhende Bürgerschreck und die distanziert-arrivierte Rassenwahn-Überlebende zwinkern sich freundschaftlich zu.

This is the End.

Hope that I grow old,before I die.

 

Rezension: Frank Rüb 2019