Arnold Schönberg und seine Zeit

Manuel Gervink

Manuel Gervink - Arnold Schönberg und seine Zeit

Laaber Verlag 37,80€

 

Die schönsten Anekdoten über Arnold Schönberg s Wortwitz und Streitlust, die bezeichnendsten Äußerungen seines schwierigen,bisweilen despotischen Charakters, psychologisch erhellend und literarisch gekonnt aufbereitet, ein Licht auch auf seine Weggefährten werfend - finden sich in den früher besprochenen Biographien über Gustav Mahler und Alban Berg.

Jens Malte Fischer hat ein Gespür dafür, den regelmäßigen Besuchen der Freunde Schönberg und Zemlinsky beim Ehepaar Mahler,die ebenso regelmäßig wegen irgendwelcher von Schönberg forcierter Streitigkeiten abrupt abgebrochen wurden, den halb belustigten, halb traurigen Blick Gustavs aus dem Fenster auf die von ihm nach einem damals bekannten Wiener Komiker Duo "Eisele und Beisele" bezeichneten davoneilenden Gäste, Zemlinsky beschwichtigend, Schönberg wild gestikulierend, folgen zu lassen und nicht nur seine nach Verstreichen des nächsten Besuchstermins treuherzige Frage an Alma, ob Eisele und Beisele denn heute nicht kämen.

Und Barbara Meier trifft bei ihrer Schilderung einer Veranstaltung der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik exakt den lakonischen Tonfall von Schönberg s Antwort auf eine Zurechtweisung wegen Überschreitung der Probenzeit mit dem Argument, er sei hier schließlich nicht der einzige Komponist: "Ich denke doch".

Die Biographie des Musikwissenschaftlers Manuel Gervink ist nüchtern, sachlich und sprachlich eher spröde. In einem unachtsamen Lesemoment staunte ich über eine flüssige Passage, um bei zurückgekehrter Aufmerksamkeit festzustellen, dass gerade länger aus einem Schönberg -Brief zitiert wurde.

Neben immensem werkimmanenten Inhaltsreichtum stehen aber auch durchaus gelungene Einzelheiten. Vom jungen Autodidakten, der aus Geldnot widerwillig eine Banklehre beginnt, während er in jeder freien und unfreien Minute komponiert (daher der Ausdruck "Banknoten"),über den traditionellen Lehrer, konservativen Ehemann und reaktionären Monarchisten bis zu den hochinteressanten Kapiteln über Schönberg s Judentum, die Kontroverse mit Thomas Mann wegen dessen Doktor Faustus und das Nischendasein im Konzertwesen nach dem Tod. Daneben erleben wir ihn noch als bastler, als Tennisspieler und - am ausführlichsten - als Maler. Zum Broterwerb und berühmtwerden hätte es nicht ganz gereicht, doch den im Bildteil des Bandes abgedruckten Werken nach steht er als bildender Künstler unter den Komponisten von Weltruhm dem genial-dilettantischen Zeichner John Lennon kaum nach.

Wie schon angedeutet besteht die Quintessenz - Freunde von Opus 9 lesen bitte: Quartessenz - des Buches in den Werkinterpretationen. Umfassendes Nachzeichnen erlaubt der zur Verfügung stehende Raum angesichts des umfangreichen Schaffens nicht, aber die selektiven Hinweise stellen beträchtliche Hörhilfen dar. Den frühen großangelegten einsätzigen Werken wird parallel das zugrundeliegende mehrsätzige Symphonieschema zugeordnet, kurze Notenbeispiele illustrieren, wie in wenigen Takten die Keimzellen für vielfältige Verarbeitungen und Variationen liegen, das Vokalwerk wird ausführlich bezüglich Textwahl und Verhältnis zur Musik durchleuchtet, leider mit Ausnahme der musikalisch etwas knapp gehaltenen Erläuterungen zur wunderbaren Oper Moses und Aron (kein Schreibfehler, Aaron mußte um ein a gekürzt werden, damit die Anzahl der Buchstaben kein Unglück bringt, Schönberg war sehr abergläubisch - das hat nun allerdings 13 Buchstaben). Gravierender dagegen eine Lücke im großen Kapitel zur Zwölf(!)tonmusik.

Prinzip und Anwendungsmöglichkeiten, Strenge und Abweichungen, Wichtigkeit der grundlegenden Reihe für den Komponisten bei gleichzeitiger Irrelevanz ihrer Kenntnis für den Hörer, alles vorbildlich ausgeführt. Was fehlt, ist eine kurze Behandlung der Intervallanordnung der Reihe eines Stückes, es ist dem Ohr nicht gleichgültig, ob es einer Konsonanzreichen, Tritonusreichen oder sogenannten All-Intervall-Folge lauscht.

Reichsten Stoff zum Nachvollziehen und Weiterdenken bringt das intensive Aufeinanderprallen der von Schönberg favorisierten logischen Genese seiner Entwicklung mit außermusikalischen Einflüssen und Widersprüchen.

Präzise benennt Gervink die Kombination Brahms scher und Wagnerscher Verfahren und Errungenschaften im spätromantischen Frühwerk (es gibt ja nichts, was es nicht gibt - außer einem frühromantischen Spätwerk), die Fortführung der so geschaffenen überbordenden Partituren zur Grenze der Tonalität und darüber hinaus, die Suche nach Struktur und den völligen Verzicht darauf in der atonalen Phase und die endgültige Lösung durch die Zwölftontechnik.

Dagegen steht das mit jahrzehntelanger Verspätung aufgetauchte emotionale Programm zum thematisch durchkonstruierten ersten Streichquartett wie die befremdliche Symbiose der in Stein gemeißelten Verse Stefan Georges als Textvorlage mit den eruptiv - ungebundenen atonalen Werken.Weiter sind die Stücke innerhalb der einzelnen Epochen nicht immer linear - zielführend zur nächsten: Pelleas und Melisande opus 5 kann auch als Rückschritt gegenüber dem Vorgänger

Verklärte Nacht gesehen werden, ein befreundeter Dirigent grinste wohl: wollend als ich ihm meinen ersten Eindruck mit den Worten "jedem seine Alpensinfonie" darlegte; bevor im zweiten Streichquartett die Grenze der Tonalität überschritten wird ist es konventioneller als das Erste; die die atonalen Kompositionen beendende,selbst unabgeschlossene Jakobsleiter beginnt zwar ungeplant,natürlich als eindeutiger Wink verstanden,zwölftönig und ist klangtechnisch zukunftsweisend,bedeutet aber musikalisch eine Bändigung der exzessiven Vorläufer.

Die Zwölften-Werke gar, in ihrer anfänglichen Strenge unbefriedigend,liessen später Abweichungen von der reinen Leere zu und banden sich an barocke Satzformen und klassischen Satzbau.

Der Kreis schließt sich, die Linie zieht sich, Notwendigkeit waltet, Zufall schaltet, sage niemand, hier bekäme man nichts geboten.

Zur Entspannung legen bitte alle nach dem Lesen "Eine kleine Nachtmusik" auf, nicht ohne zu bedenken,dass aus deren Hauptthemen die Begleitung der Pierrot Lunaire-Verse "Finstre Riesenfalter töteten der Sonne Glanz" abgeleitet ist - war'n Witz.

Rezensent: Frank Rüb, August 2019