John Lennon

am 9.2.2021 ist er genauso lange tot wie er gelebt hat

Zum 9. Februar 2021- In memorium oft he greatest of them all

von Frank Rüb

Zu den größten psychologischen Leistungen des griechischen Mythos gehört die Unterscheidung der guten und der bösen Eris, also des produktiven und des destruktiven Neides. Von letzterem wäre manches Liedchen zu singen, was hier nicht geschehen wird, schon weil ich nicht singen kann. Ersterer stieg auf, als ich vernahm, dass die Eclipsed-Redaktion im Septemberheft 2012 ein Liedchen von 1972 passender Weise zum Thema hatte: Besprochen wurde der Foxtrott-Klassiker „Get`em out by Friday“, dessen zweite Hälfte am 18.9.2012 spielt.

Ein originelles Datum galt es zu finden und 40 Jahre Zeitunterschied spielen auch eine Rolle: Heute, oder beinahe heute, verschiedene Monatslängen lassen wir beiseite, ist John Lennon genauso lange tot, wie er gelebt hat- 9.10.1940, 9.12.1980, 9.2.2021.

Als Musiker und Mensch die wichtigste Gestalt der Rockgeschichte, ließe sich auf ihn übertragen, was der große Publizist Sebastian Haffner von seinem Zweitnamensgeber sagte: Bis Mai 1940 kam die Weltgeschichte ohne Churchill aus, ab Juni 1941 ebenso, dazwischen nicht. Man ersetze die genannten Daten (innerhalb derer wer geboren wurde?) durch 1962 und 1967 (innerhalb derer wer starb?).

Die mit diesen Eckpfeilern verbundenen Ereignisse kommentierte Lennon in grober Fehleinschätzung oder weil er den Menschen John vor dem Beatle in Sicherheit bringen wollte, so: Den Wechsel von der Leder-Rockerkluft in die Beatles-Anzüge mit „Wir haben uns verkauft“ und Sgt. Pepper mit „artifiziell“ (das war negativ gemeint).

Dabei war die Zähmung durch adrette Kleidung nebst der Aufnahme von Eigenkompositionen der Startschuss für die „British Invasion“.

War der Kriegspremier auf die ehemalige Kolonie über dem Teich und die Hilfe des zweitgrößten Menschheitsverbrechers aus dem Osten angewiesen, um den 6. Juni 1944 herbeizuführen, überrollten vier Liverpooler Twens Amerika, Frankreich, Westdeutschland und viele mehr, ohne jemals Wehrdienst geleistet zu haben und zahlten ihrem Heimatland sozialistische 95 Prozent Spitzensteuersatz.- The Empire strikes back!

Und als der kreative Höhepunkt erreicht war und die Gruppe unter weiteren Höchstleistungen zerbrach, gab sie die Steilvorlage zur Weiterentwicklung an andere und bot den Wegweiser für Musik, die die eigenen Fähigkeiten überstieg. Angesichts der folgenden unvollständigen Aufzählung kann von Schockstarre oder stillem Gedenken der Mitstreiter im ersten Beatles-losen Jahr keine Rede sein: Sticky Fingers, Zeppelin ohne Titel, Meddle, Nursery Crime, Islands, The Yes Album, Pawn Hearts, Aqualung, Fireball, L.A. Woman, Who`s next, Imagine (kleiner Scherz)…

Da hatte Lennon von der Volljährigkeit an im ungefähren Vier-Jahres-Rhythmus hinter sich: Den Willen nach oben, Weltruhm mit vollster Berechtigung bei gleichzeitiger Weltveränderung und Abnabelung mit musikalischem Statement, welches der Vorjahresaussage „The Dream is over“ sofort widersprach. Statt eines verkrampften Versuches, noch nicht Gesagtes über die Musik der Beatles vorzutragen, nur ein Hinweis auf an ein nicht vorderster Bekanntheitsfront stehendes Lennon-Stück, welches mit zweiminütiger Frische, kompositorischer Spitzenklasse und Unabhängigkeitserklärung die genannten drei Perioden zusammenfasst: Hören Sie doch mal wieder „And Your Bird can sing“.

So singt und schreibt ein Mensch auf dem Gipfel seines Könnens, der von sich sagte: „Wenn es mit den Beatles nicht geklappt hätte, wäre ich auf die schiefe Bahn geraten.“ So ganz gerade wurde die Bahn nie. Hier ein kleiner Anti-Dekalog.

Man prügelt befreundete Weggefährten nicht krankenhausreif.

Man kriecht nicht als Vorbild der Jugend sturzbesoffen aus dem Bordell.

Man äfft nicht mit dämlichem Grinsen körperliche Behinderungen nach.

Man kommentiert das Kleinod des Partners nicht mit „Dizzy Miss Lizzy“.

Man schlägt dem Manager nicht als Titel für die geplante Autobiographie vor: Warum nennst Du es nicht „Der schwule Jude“?

Man bezeichnet nicht die Hamburger Polizei pauschal als Gestapo.

Man zeigt sich nicht splitterfasernackt auf der ersten Soloplatte.

Man vergleicht sich nicht mit Jesus.

Man redet sich nicht dumm heraus, Lucy in the sky with diamonds bedeute etwas ganz Harmloses.

Man veräppelt nicht den neugierigen Brian Jones, der nach dem Instrument bei Love me do fragt mit: „Mundharmonika, Du weißt schon, das Ding mit dem Knopf“.

Wahrscheinlich existieren weltweit nicht genügend Lennon-Denkmäler, als nach Gegenwarts-Kriterien gestürzt werden müssten.

Kommt eines nach dem Fall neben dem des Rassisten Immanuel Kant zu liegen, darf der ihn- nebenberuflich Verfasser des wichtigsten philosophischen Werkes aller Zeiten- über das Nebeneinanderbestehen von empirischer Realität und transzendentaler Idealität aufklären, dafür erklärt ihm Lennon, dass es für ihn eine Ehre war, gleichberechtigt neben Chuck Berry aufzutreten. Hier fiele dem Königsberger sicher die Gemeinsamkeit seiner Kategorientafel mit dem Bluesschema und der Dauer der Lennon/McCartney-Kooperation auf- die Zahl Zwölf.

John Lennon, der weder ein Heiliger war noch sein wollte, wurde durch sein künstlerisches Schaffen zum Büßer und Beichtvater in einer Person.

Ob gedemütigte oder geschlagene Personen ihm verziehen, ist Privatangelegenheit, aber die schonungslosen Bekenntnisse und Introspektionen ab Help und vor allem Rubber Soul sind in ihrer Offenheit und textlichen wie musikalischen Qualität bis dahin beispiellos.

John Lennon, der ein Genie war und auch eines sein wollte, akzeptierte, dass er zu dieser Verwirklichung im künstlerischen Schaffen eine zweite Person brauchte. Ein nicht ganz freiwilliger Akt der Gleichberechtigung, ein Glücksfall ohnegleichen für die Nachkriegszeit und Vorbote eines ganz freiwilligen Akts der Gleichberechtigung- zumindest aus seiner Sicht, für Yoko Ono war das ein Rückschritt.

Die erforderliche Koordination von Angstgefühlen, Einsamkeit, Aufstiegswillen, Talenten und Fähigkeiten als Jugendlicher lässt die Spanne eines Jahrzehnts bis zu „Turn off Your mind, relax and float down stream“, „All You need is love“, und „Jai Guru De Va-Om“ als Kurzzeit-Therapie durchgehen. Und die Rüpel-Attitüde in Betracht der Umgebung als Survival-Ratgeber: „In Liverpool rannten wir nach den Auftritten um unsere Instrumente, in Hamburg um unser Leben.“

Mit Meditation alleine wäre das aussichtslos gewesen, aber die Stunde des mittleren und fernen Ostens sollte kommen. Ob mit oder ohne Maharishi, es steckt viel Indien in Flower-Power: Im Zuge der Dekolonialisierung schlägt nämlich irgendwann auch das Kronjuwel des Imperiums zurück. Erfreulich, was der diesbezüglich kritische Lennon an China wahrnahm: Wir sind zwar populärer als Jesus, aber wir raten nicht zur Mao-Bibel, dem Sündenfall der Studentenbewegung. Hatten die Beatles geheime Informationskanäle, oder war das die Konsequenz, dass sie ihre Firma „Apple“ nannten?

Noch ein Schritt bis nach Japan und zum (Lennon mochte Wortspiele) Ono-Theismus. Sie blieb mir fremd, sie musste leiden, jeder konnte es wissen.

Aber der Rocker, Raufbold, Drogensüchtige, Alkoholiker brauchte genau so jemanden, um Beatles-Ausstieg und Eskapaden-Rückfall zum Hausmanndasein zu wenden. Schauen Sie sich die Bilder seit der Geburt Sean Lennons an. Steht da nicht in den Gesichtern geschrieben: „So soll es sein“? Wie in den Gesichtern der Trauernden nach der Ermordung: „So soll es nicht sein“? Der kategorische Imperativ lebt im Idol der Jugendbewegung und dieses nach den Worten seines fünfjährigen Sohnes am Tag nach der Tat in uns allen und in allem: I think, daddy is becoming much more bigger, because he`s part of everything. Das ist zu schön, um unwahr zu sein. Was die Zukunft und unter welchem Namen für den John-Lennon-Airport in Liverpool bereithält, entscheidet sich je nach Lage der Dinge, vom aktuellen Namensgeber spöttisch und wohlwollend zugleich betrachtet, zwischen Greta Thunberg und Jürgen Klopp.

I am he, as You are he as You are me…

 

Rezension: Frank Rüb, Februar 2021